Der FC Bayern, seine Fans und die Gewalt

Lange habe ich mit diesem Beitrag gewartet, teils aus Zeitmangel, teils aus fehlender Muße.

So einen Beitrag schreibt man nicht mal eben so dahin, er erfordert Vorbereitung und ein klein wenig Recherche, denn er ist ein Statement – ich beziehe Stellung und zwar zum eigenen Verein!

Im letzten Monat hatte ich das Thema Gewalt unter Fans schon einmal aufgegriffen und schon da zeigte sich ein Riss im Publikum. Gewalt finden alle doof. Klar. Aber die Fans dafür bestrafen? Und dann gleich so hart?

Aber der Reihe nach.

Anlass war ein Übergriff von Bayern-„Fans“ auf einer Raststätte. Das Ziel der Reise: das Auswärtsspiel der Bayern in Gladbach. Das Ziel der Attacke: Nürnberger Fans.

Resultat: Verletzte und eine Frau, die auf einem Auge den Rest ihres Lebens blind bleiben wird.

Was mich daran so betroffen gemacht hat: Auch ich war zu meiner „aktiven“ Zeit oft aggressiv. Habe Zeter und Mordio geschrien, hatte Gewaltphantasien. Das spielte sich allerdings immer innerhalb einer Fankurve ab und äußerte sich in Geschrei, Lautstärke und Drohgebärden – geprügelt habe ich mich beim Fußball nie und ausserhalb des Stadions habe ich mich aus allen Konflikten sowieso herausgehalten. Beurteilen kann das jetzt jeder wie er will, von mir aus war ich spießig, aber einen Zusammenhang zwischen Fußball, Aggression und Gewalt gab es für mich nie.

Man kann sich beim Fußball herrlich abreagieren. Davon mache ich auch heute noch ausgiebig Gebrauch. Früher gab es allerdings gewisse Grenzen und wenn die überschritten wurden, wovon ich vor 10-20 Jahren oft genug Zeuge war, waren eigentlich immer nur Hooligans vor Ort.

Die an obigem Überfall hauptsächlich beteiligten „Fans“ gehören der Schickeria, einer Fangruppierung an, die kein offizieller Fan-Club des FC Bayern ist, dies sicherlich auch gar nicht sein will, sich vielmehr als Ultra-Bewegung sieht.

Was sind nun wiederum die Ultras?

Die Ursprünge der Ultra-Fans gehen auf die 50er und 60er Jahre zurück, als sich in Italien Fans einzelner Vereine zusammentaten, um ihren Lieblingsclub „immer und überall bestmöglich zu unterstützen“.

Daran ist überhaupt nichts auszusetzen. Ganz im Gegenteil. Derlei genießt meine volle Unterstützung. Auch die Ausprägungen der Ultras mit ihren Choreographien, ihrem Support haben mir im Laufe der Jahre immer wieder Freude bereitet.

Was mich allerdings immer schon gestört hat, war der nicht nur vereinzelt geäußerte Alleinvertretungsanspruch und die eingebildete reine und wahre Lehre der Fanseele, die Teile der Ultras immer wieder propagieren.

Was qualifiziert einen Ultra dazu, ein richtigerer Fan zu sein, als jeder andere? Ich muss nicht mit Fans diskutieren, wer oder was ein richtiger Fan ist. Man ist Fan oder nicht, das kann man aber nicht begründen, man ist es einfach (wird auch noch ein eigenes Thema).

Bis zu einem gewissen Punkt hatte ich z.B. sogar Verständnis für die Wehklagen der Fans im Vorfeld der WM. Die Repressalien waren teilweise unerträglich. In vielfältiger Form.

Ich kann es ferner nicht wirklich begrüßen, dass es im Fußball immer mehr Erfolgsfans, Business-Seats oder Logen und immer weniger Stehplätze gibt. Aber irgendwo gibt es da einen Zusammenhang, oder? Wenn man die Topstars im eigenen Stadion sehen will, dann kostet das Geld und zwar jede Menge – Bosman sei Dank.

Wenn das für Euch kein Argument ist und ihr lieber nur mit Amateuren in der zweiten Liga spielen wollt, dann ist dieser Wunsch Euer gutes Recht, aber bitte stellt diese Ansicht nicht als den wahren Kern des Fanseins dar (Und nein, nicht jedes Fußball-Spiel muss Samstags um 15:30 stattfinden).

Die Zerissenheit gibt es auch oder vielleicht gerade innerhalb des FC Bayern. Im Verein und innerhalb der Fans. Und hier sind jetzt noch nicht einmal die oberflächlichen Spontan- und Erfolgs-Fans gemeint. Hier geht es um Ultras und Traditions-Fans.

Diese Spaltung erlebte ich beim Abschied von Mehmet Scholl am letzten Spieltag der Saison. Feuerte die Südkurve während des ganzen Spiels die Mannschaft an und hatten diverse „La Ola“-Wellen ihren Ursprung dort, kippte die Stimmung tief in der zweiten Halbzeit, als von Fans, die ich zuvor in der Kurve nicht wahrgenommen hatte, völlig unvermittelt ein Transparent über die Fankurve entrollt wurde. Leider konnte ich es nicht lesen, da der Sichtwinkel zu spitz war, andere Fans berichteten von einem Protest-Banner gegen den FC Bayern, als Reaktion auf gekündigte Dauerkarten für Schickeria-Mitglieder in Folge des Rastplatz-Überfalls.

Das Banner und ein weiteres Transparent auf dem Mittelrang wurde entweder sofort von Ordnern entfernt oder verschwand innerhalb der Kurve.

In der Folge hörte man aus dem Kern der Südkurve nur noch Sprechchöre gegen den Verein generell und den Fanbeauftragten Raimund Aumann im Speziellen.

Für mich war das eine sehr bedrückende Situation, weil ich sowohl bewegt vom Scholl-Abschied als auch besorgt ob der Zerissenheit der Fans war. Wenn Teile des Vereins gegen den eigenen Verein skandieren und protestieren, dann kann mich das nicht kalt lassen.

Die Geschichte zwischen Ultras und Verein hat allerdings inzwischen schon eine langjährige „Tradition“.

Wie fing das eigentlich alles an?

Mit den vermeintlichen Störungen rund um die Meisterfeier 2003, oder den Mordrohungen gegen Raimund Aumann? Oder wissen die Beteiligten inzwischen schon gar nicht mehr, worum es einmal ging und man verharrt in seinen „Schützengräben“?

Man kann von den Verhaltensweisen des FC Bayern und seinen handelnden Personen halten was man will und ich bin auch nicht immer mit allem einverstanden, aber muss all dies unbedingt so eskalieren?

Der Verein distanziert sich von Gewalt. Vor allem, wenn die Gewalt von Bayern-„Fans“ ausgeht. Schaffen das auch Gruppen wie die Schickeria? Eher halbherzig war da die Reaktion nach dem folgenschweren Überfall. So halbherzig, dass man zügig wieder in die Opferrolle zurückfiel. Tut mir leid, dafür hatte und habe ich kein Verständnis.

Man kann darüber diskutieren, ob es „Sippenhaft“ war, alle Insassen des am Überfall beteiligten Fanbusses zu bestrafen, ihnen allen ein bundesweites Stadionverbot zu erteilen, noch bevor Urteile gesprochen sind, sogar über die Kündigung von Dauerkarten kann man reden, gar über das Rasenmäher-Prinzip des Vereins (auch wenn das Wort Enteignung schon eine gewisse Sichtweise erfordert, die mir im Zusammenhang mit diesen Umständen ab geht).

Aber ist das wirklich das Problem?

Wenn ich als Verein eine derartige Wahrnehmung über all diese Jahre gewonnen hätte, hätte ich wahrscheinlich genauso reagiert. Sich darüber aufzuregen, ob es gerechtfertigt ist, pauschal mit Gewalt umzugehen, weil „ja nicht alle was getan haben“ und vielleicht nur aus Zufall auf irgendeiner ominösen Liste waren, ist nicht zielführend.

Zielführend wäre es, wenn sich Organisationen wie die Schickeria knallhart gegen Gewalt aussprechen und die, von mir aus wenigen Gewaltbereiten in ihren Reihen rausschmeissen würden. So einfach ist das. Nicht? Finden wir Gewalt nicht doch ein bißchen gut, tolerierbar, gar legitim? Wieso beschwert ihr Euch dann darüber, dass der Verein seit Jahren die gewaltbereiten Fans los werden will?

Man stört sich daran, dass in Deutschland immer wieder „Fans“ mit Stadionverboten belegt werden, aber wie kann es dann sein, dass auf der Fahrt zu besagtem Auswärtsspiel der Bayern in Gladbach im Schickeria-Bus, „Fans“ saßen, die a) überhaupt keine Karte für das Spiel und b) ohnehin ein bundesweiten Stadionverbot hatten?

Als ich diesen Punkt zum ersten Mal anbrachte, antwortete man mir, dass „diese Fans vielleicht einfach nur ihre Freunde treffen und den FC Bayern unterstützen wollten“. Achso. Es ist mir gestattet, dass ich das ein wenig anders einschätze? Da zieht auch imho das klassische Gegenargument Willkür des Fußball-Establishment nicht mehr.

Andere Aspekte, die mich immer wieder an der Ultra-Bewegung stören, waren z.B. die Ereignisse rund um ein, von BVB-Fans gebuchtes Flugzeug mit Werbebanner, das sich ganz offensichtlich mit der einmal mehr erfolglosen Meisterschaft der Schalker befasste und in deren Folge Schalke-„Fans“ ein Jugendpokalspiel der Dortmunder Borussen stürmten. Schalker aus ganz NRW hatten sich zu dieser gezielten „Aktion“ zusammengefunden.

So etwas macht das Ultrasein aus, ja?

Was hat das mit Fansein zu tun? Bei allem Respekt, sind das nicht eher Verhaltensweisen von Hooligans? Gewalt um der Gewalt willen?

Aber zurück zum FC Bayern:

Wie erwähnt, geht durch die Fans des FC Bayern ein Riss. Die Ultras, die in den letzten Jahren immer stärker und lauter geworden sind auf der einen und die Traditionalisten auf der anderen Seite. Zu Letzteren zähle ich mich im Übrigen und das nicht nur, weil ich schon in der Südkurve des Olympiastadions bei Minusgraden und mit geschätzten 10.000 weiteren Fans während eines Winterspiels um die Wette zitterte, als viele heutige Ultras noch… Nein, das will ich nicht ernsthaft als Argument anbringen. Das wäre unsachlich.

Was wollte ich sagen?

Zu dieser Zerissenheit haben die 11Freunde einen hervorragenden Bericht in ihr aktuelles Heft gehoben. Auch wenn es eigentlich nur um die Fehler des FC Bayern ging und die fehlerhaften Einschätzungen der eigenen Fankultur.

Ich stimme diesen Thesen zu.

Es war ein Fehler, dass der Verein die alte Südkurve aufteilte, weil er sich eine Verdopplung der Stimmung erhoffte.
Es war ein Fehler, bis heute keinen reinen Fan-Block für die Bayern-Fans einzurichten.
Es war ein Fehler, die gegnerischen Fans unter das Dach zu „verbannen“ – die Akkustik ist dort um Längen besser, die Lautstärke übertönt die Südkurve deutlich.
Es war ein Fehler, Fankurven-Fans mit „Familien“-Fans zu mischen – im Kino würde ich mich auch über vor mir stehende Zuschauer aufregen.

In Folge all dieser Fehler, kann man nicht erwarten, dass die Arena dauerhaft zum phonetischen Tempel wird!

Was kann also in dieser verfahrenen Situation getan werden?

Man kann aufeinander zugehen. Der FC Bayern hat einen ersten Schritt gemacht, indem er Fans, die zunächst eine Dauerkartenkündigung erhalten hatten, diese zurückgeben will, sollten sich diese von Gewalt distanzieren.

Dazu gibt es ohnehin keine Alternative.

Genauso handeln sollten alle Fanclubs und Fangruppierungen, ob Ultra oder nicht.

Der Verein muss sein Konzept der „Überall-Fankurve“ schleunigst überdenken, die gesamte Südkurve zur, von mir aus, Klappsitz-Kurve machen und die Gästefans nicht weniger schnell in die geräuschneutralste Ecke stecken.

All das wäre ein Anfang. Nicht mehr und nicht weniger. Es würde allerdings langfristig u.a. dazu führen, dass ich derlei Berichte nicht mehr schreiben muss.

Packen wir es an. Gemeinsam. Für unseren Verein.