Die Hysterisierung der gegenwartlichen Fußlümmelei – eine Streitschrift

Es ist kompliziert. Und es liegt an mir – ist klar. Ferner mag es für viele meiner längjährigen Verfolger, Leser, Zuhörer, Wahrnehmer schräg klingen, wenn ich mich über Emotionen oder Hysterisierung in unserem Fußlümmel-Zirkus beklage.

War ich – und meine meinungsstarken Kommentare und Beiträge – doch über viele Jahre selbst ein Kieselsteinchen unter den abendlichen, stolpernden Sandalen des Sisyphus, der Spieltag für Spieltag, Saison für Saison, den Stein der Ausgewogenheit, Abwägung, Nüchternheit und Empathie den Berg der Fußballemotionalität hinauf astete. Tja.

Leben wir in einer Gegenwart, in der man seine Meinung nicht mehr ändern darf? Doch, ganz im Gegenteil, aber nicht Allen ist diese Fähigkeit gegeben. Ich schweife ab.

Einige wird es erneut langweilen, aber mein Abstand zum Zirkus wurde in den letzten 12 Monaten (ohne Blog-Beitrag – morgen ist tatsächlich schon ein Jahr Funkstille) nicht geringer. Womit nicht gemeint ist, dass ich jetzt einfach ein paar Reihen hinter der Manege sitze, nein, wir reden hier eher von „außerhalb des Zeltes“ oder gar „in einer anderen Stadt“ …

Ich bekomme schlicht nicht mehr mit, was Kovac für einen Fußball spielen lässt, wie es sich in der 67. Minute am 23. Spieltag darstellt, der Kontext zu den fünf Spielen zuvor und dem Spiel danach ist. Ich verfolge Diskussionen über unseren Trainer und unsere Führung nur noch aus zweiter Hand über die sozialen Medien, versorge mich mit Bildern aus der Konserve. Ungewohnt – aber wohl wollend – nehme ich zur Kenntnis, dass ich es kaum vermisse, was auch daran liegen mag, dass die Ausprägung meines Ehrenamtes in der Fußball-Jugend und dem Amateurfußball immer größer wurde und kaum noch Platz lässt für andere fußball-spezifische Eindrücke. Kausalität.

Was ist aber so anders in der über vier Jahrzehnte gewohnten Welt des „großen“ Fußballs? Es ist die Gegenwart und es ist kein Ende abzusehen. Ähnlich wie bei der Immobilien-Blase in Großstädten, habe ich auch bei der Fußball-Blase inzwischen aufgegeben, Prognosen abzugeben, wann dieselbige platzt. Es gibt immer noch genügend Pay-TV-Abonnenten, Fußball-Konsumenten, komplett unkritische Stadiongänger, die sich einfach nur unterhalten lassen wollen und erst recht mehr als genügend Leser & Zuschauer für all die Berichterstattung rund um das Hochglanz-Produkt Fußball.

Kritisiere ich dies weiterhin? Ja. Bin ich davon überrascht? Nein. Resigniert? Vielleicht. Wo ist also das aktuelle Problem?

Sicher. Man sagt sehr leicht und sehr oft, „jeder sei für seine Timeline selbst verantwortlich“ also für die Zusammenstellung der eigenen Filterblase. Ist bei mir nicht anders. Aber was will man machen, wenn sich selbst, ansonsten gelassene und abwägende Fußballfans – sei es in Schwarz-Gelb oder Rot-Weiß – von der allgemeinen Hysterie anstecken lassen? Rund um das Spitzenspiel der Bundesliga – seit Jahren endlich einmal wieder in Schlagdistanz zwischen Dortmund und Bayern – ließen sich viele Fans von den Emotionen überwältigen und ich war mehr als irritiert, dass dies in meiner Komfortzone passierte.

Ich hatte ja schon vor einem Jahr gesagt, dass ich persönlich keine siebte Meisterschaft in Folge für mein Seelenheil benötige. Schon für derlei wird man von einigen Bayernfans kritisiert.

Äußert man Bedenken über die Zukunft des Vereins und die Sorge, ob die aktuelle Führung den Übergang schaffen kann, wird man zwar ebenfalls kritisiert, aber aus einer Ecke, die ich per se ausblende.

Hat man in diesem Kontext wiederum Sympathie für – sagen wir mal – keine zwingende Dauer-Siegesserie, um die Grundlage zu schaffen, dass der Verein keine Wahl hat, auf „Weiter, immer weiter“ oder „Klappt doch alles, man muss nix ändern“ zu verzichten – brechen bei manchen Bayernfans die Dämme – totales No-Go. Was fällt uns ein, nicht (nur) den kurzfristigen Erfolg zu sehen!

Vollends anstrengend wird es, wenn man Dortmund Fans dabei zusah, wie sie eine – eher den Bayernfans zugesprochene – Eigenschaft an den Tag legten: Dünnhäutigkeit im Falle von Niederlagen und schmelzendem Vorsprung in der Tabelle. Das hat mich nachhaltig überrascht. Was war nur aus dem Underdog-Narrativ geworden? Fühlte man sich – aufgrund von neun Punkten Vorsprung schon als sicherer Meister? Dies gipfelte in Kommentaren nach der hohen Niederlage des BVB in München, die klangen wie „so ein Pech – jetzt habt ihr so hoch gewonnen und werdet trotzdem nicht Meister“ …

Auch hier: Derlei hörte man früher nur aus dem bayerischen Seelenleben.

Den Rest gaben mir die Berichterstatter. Man ist ja seit Jahren gewohnt, dass in der öffentlichen Wahrnehmung, ein Erfolg, gar ein Sieg der Münchner Bayern wenig Begeisterung außerhalb der rot-weißen Blase auslöst. Mir ist dies bewusst und ich hatte mit diesem „Naturgesetz“ nie ein Problem – im Gegenteil. Was mich sprachlos machte, war die Kurzfristigkeit, die neuerdings hier an den Tag gelegt wird:

Dortmund führt mit neun Punkten vor den Bayern? Großartige Liga! Endlich wieder Spannung!“ (Spannung? Bei neun Punkten Abstand?)

Bayern holt Vorsprung des BVB auf und setzt sich dank der besseren Tordifferenz an die Spitze! Laangweeiliig.

Erneut: Alles gut, derlei halten wir (also Fans wie ich) seit vielen Jahren aus. Was war in den letzten Wochen anders?

Das sowohl Bayern- als auch BVB-Fans im Wochenwechsel – wahlweise dem Fußball abschwören wollten, die Welt zusammen brach oder die Bundesliga einpacken könne!

Bayern Tabellenführer? BVB-Fans resignierten en masse. Bayern spielt nur Remis gegen Freiburg – BVB zurück an der Spitze? Bayern-Fans fordern – erneut – den Kopf des Trainers, BVB-Fans wollten die Welt umarmen!

All dies klingt wirr für euch? Dann haben wir was gemeinsam. Womit wir wieder beim Anfang dieses Artikel sind:

Es liegt an mir. Ich bin hier nicht mehr Zielgruppe, mir ist all das zu anstrengend, ich muss aus diesem Fußballzug aussteigen. Deshalb zuletzt eine zwei-wöchige Social-Media-Pause (auf meinem Fußball-Account).

Nun sind – ganz offensichtlich – all die Grassiko-Emotionen aus meiner Timeline entwichen. Ich will es – natürlich – noch einmal versuchen. Was ich befürchte? Dass es – nach einem Punktverlust unserer Bayern in Düsseldorf – wieder von vorne los geht. Ich werde es mir – nach Jahren der Live-Spiel-Pause – vor Ort im Stadion anschauen, ggf. lasse ich mein Smartphone einfach mal ganz aus.

Fußball pur. Ohne Vorberichte, krakeelende Kommentatoren, vermarktende Moderatoren und wilde Aufruhre in den sozialen Medien. Wie es sein sollte, einmal war und nie wieder sein wird.

Ich weiß. Schade.

Debütanten-Ball-Rausch an der kurzen Leine.

Als Fan des FC Bayern lebt man in diesen Wochen in einem „schizophren“ Zustand. War es in den letzten Jahren, gar Jahrzehnten zumeist so, dass ein Zufalls-, oder Nicht-Bayern-Meister auch nur jeweils für ein Jahr eine Konkurrenz darstellte und wir uns auf diese „Gesetzmäßigkeit“ verlassen konnten, ist seit der letzten Saison alles anders.

Der BVB hat seinen „Überraschungserfolg“ aus 2011 nicht nur in 2012 bestätigt, nein, er hatte es ferner vor Jahresfrist in kürzester Zeit geschafft uns 15 Punkte abzujagen und sich von Rekord zu Rekord zu siegen.

Diese Erfahrung prägt uns noch immer. Ob wir wollen oder nicht. Vom Vorstandsvorsitzenden bis zum Kommentierer hier auf meinem Blog.

Diese Erfahrung hat eine Unruhe zur Folge, die uns nicht nur ständig zwischen den Extremen hin und her taumeln lässt, sondern auch noch völlig neu für uns ist. Sie entspricht so gar nicht unserem Selbstverständnis.

Wie anders ist zu erklären, dass einige von uns (ich will mich da gar nicht intellektuell überhöhen und hier ausschließen), nach den beiden Remis gegen Nürnberg und Valencia nicht nur den alten Trainer endlich los sondern zusätzlich den halben Verein umkrempeln werden woll(t)en, wir alle nach der heutigen Gala gegen Hannover aber eigentlich das Gegenteil verlangen müssten?

Leute, wir haben zwei(!) Tore nach einer Standard-Situation erzielt. Und unser greiser Trainer gibt vor dem Spiel am Mikro zu Protokoll, dass er „dies sogar hat trainieren lassen“! Ungläubiges Staunen.

Und zu allem Überfluss, schießt Sportskamerad Martinez nicht nur sein erstes Tor für den FC Bayern, sondern liefert er imho das erste Spiel in unserem Trikot ab, nach dem ich ohne Zögern sage: Ja, auf Basis eines solches Spielvideos waren wir wohl endgültig bereit hier 40.000.000,- Euro locker zu machen.

Ganz zu schweigen vom ebenfalls ersten Saisontor von Dante (genau solche haben wir von ihm im Gladbach-Trikot einige gesehen) und erst Recht der Explosion nach dem Tor von Rückkehrer Gomez!

Was ist das für eine Geschichte?

Wir haben drei Stürmer für die eine Spielposition.

Der erste, Mandzukic, steht an der Spitze der Bundesliga-Torschützenliste. Der zweite, Pizarro, liefert (von der Bank) mal eben so ein Festival wie gegen Lille ab.
Und der dritte, Gomez, feiert sein Bundesliga-Comeback und erzielt 26 Sekunden nach dem Betreten des Platzes sein erstes Saisontor!

Ist das ein un-fucking-fassbarer Traum?!

Was wäre wohl mit dem Sturmkader der letzten Saison jetzt unsere Situation?!

Wer Zweifel an sich, dem FC Bayern oder ganz allgemein hat, sollte allein nur an dieses Thema denken.

Klar, es war „nur“ Hannover. Eine Mannschaft, die aktuell nicht mehr zwingend in Top-Form agiert. Und auch am Donnerstag erst in der Europa-League gespielt hat. Aber am Anfang des Spiels hat Hannover ja noch einigermaßen gut und mit gespielt. Nicht nur ich hatte bis zum 2:0 Sorge um ein fränkisches Deja-vu.

Unbegründet, wie sich herausstellen sollte. Spätestens mit dem 3:0-Pausenstand war der Drops gelutscht. Und ein Tor schöner als das andere.

Ebenso in HZ2. Und hätte Super-Mario noch ein bißchen mehr Glück gehabt, er oder Ribery hätten das Ergebnis noch unangenehmer werden lassen können. Für die Leine-Kicker.

Andererseits: Auch für ein 5:0 gibt es nur 3 Punkte. Und ob der BVB am nächsten Samstag ähnlich agieren wird, werden wir erst in der nächsten Woche wissen.

Einzelkritik?

Javier Martinez lieferte, wie gesagt, für mich sein bestes Spiel im Bayern-Trikot ab.

Franck Ribery scheint die Rippenprellung nicht mehr zu stören. Merklich.

Thomas Müller bemüht wie immer. Heute brauchte es keine Tore seiner speziellen Art.

Toni Kroos spielte in HZ1 sehr stark. Erst als es nicht mehr nötig war, nahm auch er sich eine Auszeit.

Bastian Schweinsteiger lieferte eine gute Vorstellung an – für die Glanzpunkte waren diesmal andere zuständig (z.B. Martinez).

Die Viererkette ließ kaum gefährliche Aktionen des Gegners zu. Besonders stark: Dante und Alaba. Solide: Lahm. Erneut noch nicht in alter IV-Form: Badstuber (leider).

Herr Neuer hat dann später auch noch die Chance bekommen, sich am Spiel zu beteiligen. Chance genutzt, ansonsten selten gefordert.

An Mandzukic gefiel mir vor allem seine Defensivarbeit. Punkt.

Vor dem „Gigantenduell“ reisen wir jetzt zunächst nach Freiburg. Ein extrem schwieriges Spiel. Denn wer denkt jetzt wirklich an Freiburg? Und nicht schon an Dortmund?

Andererseits: Sind alle Borussen komplett mit den Gedanken bei der Fortuna aus Düsseldorf?

Nein, ich genieße jetzt erst einmal den Moment. Und die Tatsache, dass für uns alle mal wieder das Glas halb VOLL sein sollte.

Und der BVB weiterhin nicht mehr aus eigener Kraft Deutscher Meister werden kann!

Ab morgen heißt es dann: Freiburg putzen!

Auf geht’s, Ihr Roten!

Mit Rib & Rob gegen WOB

Soviel zur Hoffnung.

Die Realität sieht so aus, dass laut van Gaal „Robben zwar in einer guten Verfassung sei, aber er erstmal mit ihm reden wolle“.

Robben selbst sagt, er „sei topfit, habe eine gute Vorbereitung mit Real Madrid hinter sich und sei bereit zu spielen“, schränkt aber gleichzeitig ein, dass „es auch eine hektische Woche mit vielen Telefonaten, Training, einem Spiel und ein bisschen Stress war“.

Wir werden sehen.

Ebenso bei Ribéry, über den unser Trainer sagt, „er sei vielleicht fit für 20, 30 Minuten oder mehr“ – na dann.

Erwarten wir also einen Doppelwechsel in der Arena, so rund um die 60.Minute?

Das hätte was, ich will nicht wissen, was dann dort los ist, wenn Rib&Rob zum Auswechseln bereitstehen und Sportskameraden wie Herr Schweinsteiger ihren Platz räumen müssen. Nach gefühlten 36 Ecken im Nirvana und jeder Menge gelebter Spielverzögerung.

Vielleicht ist das Spiel ja dann ohnehin längst entschieden. Für Wolfsburg, weil sie uns ein weiteres Mal in diesem Jahr hemmungslos überlaufen, oder für uns, weil seit gestern einige Kandidaten im Kader endlich ernsthaft um ihren Platz auf den Rasen Angst haben und sich die Lunge aus dem Körper laufen.

Einzuwenden hätte ich gegen drei Punkte gegen den Meister nicht wirklich viel.

Kein Spieltag zu früh für den Start einer Serie. Auch wenn diese fatal an die letzte Saison erinnern würde.

Auf der anderen Seite: Wer rechnet im Umfeld des hysterischen FC Bayern im Moment mit der Vize-Herbstmeisterschaft? Punktgleich?

Eben.

Ebenfalls klar: Wenn wir das schaffen sollten, mit van Gaal und seiner neuen Philosophie, seinen Spielsystemen, mit Ribéry und Robben, dann, ja dann glaube ich definitiv nicht daran, dass wir ähnlich einbrechen wie zu Beginn der Rückrunde im Frühjahr.

Echt nicht.

Warten wir also einfach ab, was das morgige (Top- und Abend-)Spiel liefert.

Schwääre Kost oder die neue Leichtigkeit des Bayern-Seins.