Unwohlsein. Zweifel. Anspannung. Erstaunen. Ungläubigkeit. Urknall. Rausch. Mein gestriger Tag in Kurzform. Und welcher Bayern-Fan könnte eine solcher Achterbahnfahrt nicht für sich genau so beschreiben. Seit Samstag. Seit Hoeneß. Seit Hannover. Seit Götze. Dabei ist es ja nicht so, als hätten die Bayern in den letzten Monaten und Jahren nicht genug erlebt. Guardiola und Martinez sind da nur die Spitzen der Eisberge. Auch die Bilanz der letzten Jahre ist trotz der zwei nationalen schwarz-gelben Jahre bemerkenswert. Haben wir nicht immer gesagt, dass wir mal dahin kommen wollen – dauerhaft – in ein Championsleague-Finale einziehen zu können? Damals Sätze wie von einem anderen Stern, inzwischen offenbar unsere Realität.
Apropos Gegenwart.
Nicht immer war ich in dieser Königsklassen-Saison von einem längeren Verweilen überzeugt. Zu „holprig“ verliefen manche Spiele (Bate, Arsenal, etc.). Ungewohnt schwach für diese Rekord-Saison. Dann kam Juventus. Und zwei Spiele, die alles andere zuvor vergessen machten. Das war europäische Spitzenklasse. Turin ist schließlich – nachweislich – keine Laufkundschaft. Aber Barca? Ich hatte – während der Gruppenphase – das Halbfinale, je nach Auslosungsglück, als Ziel vorgegeben. Weshalb ich nach dem katalanischen Los auch richtig begeistert war. Endlich Barca, endlich Messi, endlich die „ultimative“ Prüfung. Und was sollte schon passieren? Wenn ausscheiden, dann bitte nicht noch einmal im Finale. Gegen Barca ist das ohnehin aller Ehren wert. Würden wir unsere 50%-Chance hingegen nutzen können, stünde uns Historisches bevor.
Es wurde – wir haben es gestern alle erlebt – Historisches.
Selbst wo ich diese Zeilen gerade schreibe, kann ich die Dimension noch gar nicht richtig fassen. Wir haben Barcelona geschlagen. Die Unschlagbaren. Und wir haben es nicht geschafft wie Inter oder Chelsea, die in ihren Halbfinalsiegen gegen Messi & Co. ein destruktives Defensivfeuerwerk abbrannten, nein, wir haben sie, obwohl kaum am Ball, dominiert. Dominiert? Ja, wir haben einen – zugegeben – Messi, der nicht „auf der Höhe“ war, aus dem Spiel genommen. Wir haben Xavi, Iniesta genervt. Iniesta holte sich später gar Gelb ab. Frust-Gelb. Iniesta!
Schweinsteiger – zunächst fahrig, nervös, hohe Fehlpassquote – agierte wie gegen Juventus und schwang sich zum kämpfenden Dirigenten auf, Martinez gab den unüberwindlichen Stier, Müller mit seiner Anarchie, Ribéry und Robben mit ihrem Esprit und ihrem Mannschafts-Gen rundeten unser famoses Mittelfeld ab und zogen den Weltbesten ihres Faches den Zahn. Das machte mich – schon wieder – sprachlos. Was ist das für ein geiles Team? Wie konnte es zur letzten Saison noch einmal eine solche Steigerung geben? All das ist so unfassbar. Unfassbar gut.
Apropos Klasse.
Was unsere Defensive ablieferte war ebenfalls aller Ehren wert. Unser Spielführer, früher gerne mal eines meiner Lieblingsobjekte für ungezügelten Frust, liefert heuer eine seiner besten Spielzeiten im Trikot des FC Bayern ab. Dazu noch zwei – sprichwörtliche – Türme in der Schlacht. Dante und Boateng wuchsen nicht nur körperlich über ihre Gegenspieler hinaus. An ihnen prallte so ziemlich alles von der Barca-Herrlichkeit ab. Immer und immer wieder bangten wir Ungläubigen, dass es „jetzt, jetzt, jetzt, jetzt, jetzt“ doch bestimmt passieren würde, dass Messi, Xavi, Iniesta, Busquets, oder, oder, oder nun endlich „einen raushauen“ würden, um auch uns zu zeigen, wo der Katalane den Most holt. Allein, es geschah nicht. Es geschah einfach nichts. Nichts, was unseren Sieg (ein Sieg! Zu Null!) gefährden konnte (ok, zwei, drei Aktionen gab es vielleicht). Im Gegenteil, wir schossen immer mehr Tore.
Natürlich – und nach einem 4:0 gegen die weltbeste aller Mannschaften kann man das locker zugeben – waren zwei unserer Tore eher nicht berechtigt. Gomez stand beim 2:0 wohl im Abseits und Müller blockt vor dem 3:0 Robbens Gegenspieler (vor dem 1:0 habe ICH kein Aufstützen von Dante gesehen. Wieso auch, Dante überragte seinen Gegenspieler ohnehin um Längen – der brauchte sich dafür gar nicht aufstützen). Kann man abpfeifen, tat der Schiedsrichter nicht. Er pfiff aber auch 2-3 Handelfmeter für uns nicht. Pech. So läuft das Leben. Man kann generell nicht behaupten, dass die UEFA-Schiedsrichter sich in der diesjährigen Königsklasse mit Ruhm bekleckert hätten, von den Tor-Schiedsrichtern(!) ganz zu schweigen.
Ganz großes Kino, dass sich Barcelonas Spieler nicht über den Schiedsrichter beschwert haben. So reagieren wahre Champions. Da können wir alle in der Bayern-Familie tatsächlich noch was lernen (ich schließe mich da nicht aus). Vielleicht ist es aber auch eher so, dass die Katalanen erkannt hatten, dass wir das Spiel einfach, irreguläre Tore hin oder her, über weite Strecken beherrscht haben. Womit wir beim nächsten Thema wären.
Der FC Bayern des Jahres 2013 hat einen Plan. Die Spieler wissen, was sie da machen. Das war beim FC Bayern nicht immer so und auch unter Trainer van Gaal noch nicht wirklich ausgeprägt. Spätestens hier kommt Josef, genannt Jupp Heynckes ins Spiel. Ich gestehe – nicht immer in den letzten zwei Jahren war ich komplett von ihm überzeugt. Es gab da das eine oder andere Spiel, die eine oder andere Entscheidung, die ich durchaus kritisiert habe. Aber was er seit Monaten beim FC Bayern leistet, ist – man kann es nicht anders sagen – grandios. Leider sehen das offenbar immer noch nicht alle Mitglieder des Zirkus Fußball in Deutschland so.
Da muss sich Heynckes nach dem Los Barcelona „witzige“ Bemerkungen zu möglichen Telefonaten mit Guardiola gefallen lassen und ferner Kritik, als er derlei – zu Recht – abschätzig kommentiert. Warum ich das so sehe? Was war das denn gestern? War das ein Matchplan, der Barca lahm legte, oder hat sich hier – die beste Mannschaft, die man so kennt – etwa auch freiwillig ergeben? Wer dieses „Argument“ immer noch in seinem Repertoire hat, dem kann man nicht mehr helfen. Oder hat Pep hier dem Jupp ins Ohr geflüstert, wie man das gegen die Katalanen so macht? Kommt mal klar, Leute. Offenbar ist der FC Bayern an einem Punkt seiner Entwicklung (ich bin entzückt, dass ich dieses Wort endlich im Zusammenhang mit meinem Verein benutzen kann) angekommen, an dem er – sprechen wir es offen aus – Barcelona besiegen kann. Wahnsinn.
Apropos Wahnsinn.
Ein Thomas Müller bringt mich sehr oft an den Rand der Verzweiflung. Ein Thomas Müller lässt aber auch sehr oft meinen Kopf explodieren (Remember Finale Dahoam). Ein Thomas Müller ist ein Phänomen. Ein Thomas Müller ist der Schuss Anarchie, der unserer perfide perfekten Spielordnung das gewisse Etwas, das Unberechenbare gibt. Ein Thomas Müller weiß sicher selbst manchmal nicht, was als nächstes passiert – wie soll das da sein Gegner erst wissen? Ein Thomas Müller ist ein Mehmet Scholl.
Fassen wir den gestrigen Blockbuster noch einmal zusammen:
Wir stehen mit einem Bein im Finale in London. Aber wir haben noch ein Rückspiel in Camp Nou vor uns. Und in Camp Nou haben schon andere Mannschaften viel mehr als die notwendigen fünf Gegentore eingeschenkt bekommen. Allein, keines dieser Teams (seit 2009) war der FC Bayern. Sind wir so selbstbewusst? Sind wir. Im Rückspiel steht unsere größte Pressing-Waffe – Mario Mandzukic – wieder zur Verfügung. Ohne Gelb-Vorbelastung. Vom Finale also nur per Platzverweis zu trennen. Bei der restlichen Offensive sieht es genauso aus. Da gibt es nur eine Richtung: Vollgas. Und am besten ein frühes Auswärtstor. Sechs Tore erzielt selbst Barcelona nicht gegen den FC Bayern des Jahres 2013!
Was uns Sorgen macht? Nicht viel. Aber die drohenden Sperren für Martinez, Schweinsteiger, Dante oder Lahm (Rest lassen wir mal außen vor). Ok, Lahm droht die Sperre schon länger und insofern er keine Dummheiten wie Herr Schweinsteiger macht (Gelb fürs Ballwegschlagen – also echt jetzt, Bastian!), sollte das klar gehen. Bleibt Dante. Auch er spielt seit einigen Spielen schon mit dieser „Gefahr“. Könnte also im Rückspiel klappen. Pessimistisch – wenn überhaupt – bin ich bei Schweinsteiger & Martinez. Je nach Schiedsrichter und taktisch erforderlichen Aktionen, könnte das schief gehen. Andererseits: Wie soll DonJupp das planen? Schon in der Startelf auf die Gelb-Gefährdeten verzichten und hoffen, dass es die 1b-Elf schon richten wird, mit dem 4:0 im Rücken? Und was passiert, wenn Barca sich, mit einem erstarkten Messi bis dahin in einen Rausch gespielt hat? Wie sollte Messi aber in den nächsten sieben Tagen seine Form und Fitness wiederfinden?!
Fragen über Fragen, Heynckes wird auch hier Antworten finden.
Abschließend ein Novum: Zum ersten Mal ist mir – und vielen anderen wohl auch – ein Bundesliga-Spiel aber mal so was von sch**ssegal. Gegen Freiburg darf am Samstag gerne mal die A-Jugend ran. Oder eben die Spieler, die jetzt gegen Freiburg spielen müssen, um in Barcelona in Top-Form zu sein. Wie wäre es hiermit?
Neuer
Contento – van Buyten – Boateng – Rafinha
Gustavo – Tymo
Shaqiri – Pizarro – Højbjerg
Mandzukic
Auf geht’s, Ihr Roten!