Stuttgart, nicht Chelsea oder Mein Fußballerlebnis des Jahres

Ich wurde nett gefragt. Und deshalb habe ich mir Gedanken gemacht. Was wohl mein „Fußballerlebnis des Jahres“ war. In 2012.

Lange habe ich mit mir gerungen, ob es jetzt wirklich der 8329.Bericht zum Thema Finale und Chelsea FC sein muss.

Nein, muss es nicht.

Denn wenn man nur lange genug über etwas nachdenkt, kommt man durchaus auf einige alternative Themen. Auf Themen, die mich immer noch und ganz aktuell beschäftigen: Den FC Bayern, seine Fans und die Probleme, die beide miteinander haben.

Es war April. Ende April. Der FC Bayern hatte wenige Tage zuvor in Madrid das lang ersehnte Ziel erreicht. In einem Europapokalfinale zu stehen. Im eigenen Stadion. „Finale dahoam“.

Die Stimmung war – euphorisiert. Wobei dieser Begriff leicht untertrieben ist.

All das konnte ich nicht wissen, als ich mich (erfolgreich) um Karten für eben dieses Spiel bemüht habe. Gleichwohl passte es aber perfekt. Das Wetter, die Atmosphäre in der Stadt – umwerfend.

Das Spiel lief ebenfalls gut. Wir gewannen mit 2:0, die Tore erzielten die Sportskameraden Müller und Gomez. Zu meinem Fußballerlebnis des Jahres (jaja, wenn wir das Finale mal außen vor lassen, aber das ist ohnehin bei den All-Time-Top-3 gesetzt) wurde es in der 12.Minute des Spiels.

Warum?

Diese 12.Minute änderte meine Wahrnehmung. In Bezug auf so einige Dinge. Am Ende dieser Wahrnehmungskette war ich ein anderer Fan des FC Bayern. Noch wacher, noch differenzierter, noch mehr auf der Seite der aktiven Fans. Nicht weniger auf der Seite des Vereins, des Vorstands, aber mit einem weitaus größeren Meinungsspektrum.

Es gab – einmal mehr – einen Protest. Der Südkurve, der Ultras, des harten Kerns. Einige Leser dieser Zeilen mögen ob dieser Erwähnung nur gelangweilt zucken, aber schon damals wusste ich um einige der Probleme, die schon damals einer Lösung bedurften. Über Mittel und Wege kann man immer diskutieren, aber Probleme sind und waren vorhanden. Deshalb will ich nicht konkret auf das Problem an diesem 28.04.2012 eingehen, sondern auf die Abläufe und was die mit mir machten.

Ich saß auf der Haupttribüne, rechte Seite, mit direktem Blick auf die Südkurve und die aktiven Blöcke in der Mitte. 11:50 Minuten war es ruhig. Stummer Widerstand. Man hörte, wenn überhaupt nur die schwäbischen Gästefans, die ihr akustisches Glück kaum fassen konnten.

Dann sah ich den Capo auf sein Podest steigen. Sich in Position bringen. Wenn ich mich recht entsinne, gab es einen (lautstarken) Countdown.

Zehn – Neun – Acht – Sieben – Sechs – Fünf – Vier – Drei! – Zwei!! – Eins!!!

Und dann der Orkan. Ein Orkan eines Gesangs, wie wir Bayern-Fans ihn – außerhalb des Stadions – schon den ganzen Tag gesungen hatten (remember Real).

Eeeeeuroooopaaaaaaapooookaaaaaal, Euuuuuuurooooooopaaaaapoooookaaaaal, Euuuuuroooooopaaaaaaapoooookaaaaaaaaal!

Leute, man kann über die Bayern-Fans, die Arenabesucher und die Stimmung in unserem Stadion sagen was man will und viele tun dies ja auch (also zumeist die, die dieses Stadion exakt einmal in der Saison wahrnehmen (wenn ihr Verein dort spielt)). Aber die Power, die dieser Stimmungsauftakt nach 12:00 Minuten Spielzeit erzeugt hat, habe ich so in der Form in einem Heimspiel persönlich und vor Ort noch nie zuvor empfunden. Es mag an der Euphorie nach dem Championsleague-Erfolg gelegen haben, aber in diesem Moment war ich – ich kann das ganz offen zugeben – den Tränen nahe. Nicht so sehr wie nach dem Müllerschen 1:0 kurz vor Abpfiff des Finales, aber doch so sehr, dass ich mich auch heute noch genau daran erinnere, während ich bewegt diese Zeilen schreibe.

Weshalb diese Emotion bei mir?

Weil hier überdeutlich gezeigt wurde, was bei uns und mit uns möglich wäre. Wenn es eine geeinte Fankurve gäbe. Wenn der Verein den aktiven Fans hier jede mögliche Hilfe zugestehen würde. Wenn wir alle unsere Stimmungs-Träume verwirklichen könnten. Und nicht neidvoll in andere Stadien blicken müssten. Selbst wenn da viel Image dabei ist, wie ich aus langjähriger, persönlicher Erfahrung weiß.

Wir brauchen diese Stimmung. Bei aller Kritik, die man am Ultra-Singsang äußern kann, aber ich habe – schon wieder ein Geständnis – die Zeiten des 90-minütigen-Dauersupports hinter mir. Ich kann (und will) das nicht mehr. Das Finale war hier eine Ausnahme und das habe ich auch (gar körperlich) zu spüren bekommen. Wer schreit, wer feuert an, wenn es nicht unsere „aktiven“ Fans tun? Wir, die 40something-Familienväter? Nö.

Dieser Moment wird sich für immer in mein Gedächtnis gebrannt haben. Als ein Ziel, als einer der bewegendsten Momente meines FCB-Fantums.

Dieser Moment ist Motivation und Antrieb zugleich. Dieser Moment ist die Wurzel dafür gewesen, dass ich inzwischen dem Club Nr.12 beigetreten bin, dass ich mich differenzierter mit unseren eigenen Fans und den Strömungen in unserem Verein beschäftige. Noch differenzierter.

Dieser Moment sollte für alle Bayern-Fans ein solcher Moment sein.

Dieser Moment ist deshalb mein Fußballerlebnis des Jahres!

Dieser Text ist zuerst auf dem Fokus-Fussball-Adventskalender erschienen. Heute. Als Türchen Nummer 7.

Weisheiten #218

„Hier kann keiner dieses Spiel gegen Chelsea vergessen. Da ist uns zu viel Dramaturgie widerfahren. Wir machen uns alle den Vorwurf, dass wir diverse Male in dem Spiel die Chance hatten, den Sack zuzumachen. Man kann es nicht mehr ändern. Jetzt müssen wir einen neuen Anlauf nehmen. Unsere Mannschaft ist sehr motiviert.“

Karl-Heinz Rummenigge, Nicht-Vergesser-aber-nach-vorne-Gucker

Drei Tage im August oder Königstransfer, Der

Er ist da. Javier Martinez. Unser Königstransfer.

Aber welche Anstrengung liegt da jetzt hinter uns? Sicher, unsere Verantwortlichen haben seit Wochen im Hintergrund wie vor den Mikros Europas für diesen Transfer gekämpft.

Aber was haben wir durchlitten? In den letzten Tagen und Stunden?

Ich denke, dass wir unseren Kindern noch von diesen drei Tagen erzählen werden.

Wer meinem Twitter-Account folgt, wird im Ansatz mitbekommen haben, wie sehr mich das mitgenommen hat.

Am Montagabend spürte ich eine ähnliche Erschöpfung wie nach dem verlorenen #FinaleDahoam. Unglaublich eigentlich, spielte sich doch alles nur auf so einem kleinen Smartphone ab. Aber diese Schnipsel, auf die wir uns alle stürzten, jedes Gerücht, jeder Fake wurde gierig aufgesaugt. Ist er in dieser nächsten Maschine? Was sagt der Flughafen dazu, gibt es einen neuen Tweet seiner Freundin und ist das etwa nicht der echte Account von Bilbao?

Aufregung, Anspannung bis zum Anschlag.

Und dann die Ernüchterung. Als er weder in irgendeiner Maschine saß, noch sich viele Meldungen tatsächlich als Gerüchte oder einfach nur falsch herausstellten. Aber morgen, morgen kommt er dann wirklich…

Zu diesem Zeitpunkt war ich fertig mit dem Thema. Meine Twitter-Timeline bekam das zu spüren. Der Dienstag war ruhig. Fast ruhiger als normal.

Erst am Abend kam dann wieder Bewegung in die Sache, als tatsächlich – man kann es gut oder schlecht finden – die ersten Tweets über das Statement der BILD hereinzwitscherten. Und besagtes Blatt hatte sich bei all dieser Hysterie spürbar zurückgehalten. Was Einigen im Laufe der Tage durchaus auffiel und ein gewissen Nachdenken erzeugte. Wie wir inzwischen wissen, war man dort einfach top informiert, denn alles was gesagt wurde (auch vor zwei Wochen), stimmte so ziemlich mit der Realität überein. Woher nur immer wieder diese Infos kommen? Wer konnte die denen bloß gesteckt haben? Aus dem innersten Kreis?

Wie auch immer.

Als in Schwabing eine echte Bombe gesprengt wurde, Feuer ausbrachen und man sich ernsthaft die Frage stellte, was man da eigentlich gerade abfeiern würde (ob der Bilder von den Bränden), platzte gegen 0:00 der Tweet eines eifrigen #SSND-Reporters in unsere Timeline. Ein Bild (eines Films) von Martinez. Auf dem Weg zur sportärztlichen Untersuchung bei unserem Vereinsarzt. Unbemerkt von allen Reportern, die seit Tagen den Münchner Flughafen belagerten. Verrückt.

Als Martinez die Praxis verließ ein weiteres Bild eines BR-Reporters. Gegen 4:00 morgens.

Ich ging um 23:30 ins Bett. Hätte ich Twitter nur 30 Minuten länger genutzt, hätte ich in dieser Nacht wahrscheinlich gar nicht geschlafen. Vor Aufregung.

Dann die Gerüchte über den Besuch beim spanischen Verband am heutigen Mittwoch. Die sich als wahr herausstellten, weitere Sorgen, weil Bilbao in einem letzten Zucken, Martinez‘ unentschuldigtes Fehlen beim 10:00-Training kritisierte und mit Konsequenzen drohte.

Zum Schluss hingegen die Vollzugsmeldung vom FC Bayern (per Twitter! Ebenfalls vor wenigen Tagen noch unvorstellbar.). Ein letztes Aufflackern der Hysterie (die Retweets dieser FCB-Meldung erreichte Rekordwerte) – und dann war nur noch Stille. Also zumindest bei mir. Und auch nur fast.

Aber da war Erleichterung. Grenzenlose Erleichterung. Dass wir diesen Transfer tatsächlich gestemmt hatten. Das wir uns durchgesetzt haben. Gegen Bilbaos Präsident. Gegen die Kritiker von außen (die aber so oder so unsere Transfers kritisieren würden). Und gegen all die anderen Großkopferten aus Madrid, Barcelona, Manchester und Mailand. Oder wer so alles Martinez ebenfalls haben wollte.

Außenstehende sind immer noch verwirrt ob dieser Begeisterung. Auch Bayern-Fans neigen teilweise immer noch zu diesen Gefühlen.

Ich nicht.

Endgültig sind für mich nun die bösen Geister der letzten Saison vertrieben. Als wäre eine Last von meinen Schultern genommen, der graue Schleicher über unserer Vize-Welt weggerissen worden.

Darum geht es! Welcher Bayern-Fan würde in Abrede stellen, dass die letzten beiden Jahre und besonders die letzte Saison, der letzte Mai an unserem Selbstwertgefühl geknabbert hätte? Dieser Transfer ist ein Statement. Ein Statement, dass wir uns das nicht gefallen lassen, dass wir uns wehren, wieder angreifen wollen.

Auch gegen die europäische Konkurrenz, nicht nur die in der Bundesliga.

Warum?

Weil Martinez imho tatsächlich der Spieler ist, der uns in unserem Mosaik noch fehlt.

Wir haben Dante geholt, um die IV zu vervollständigen. Wir haben Shaqiri geholt, um Alternativen zu Ribéry und Robben zu haben. Und jetzt haben wir endlich einen Martinez, der die offene Wunde 6er schließen kann!

Wer will abstreiten, dass der fehlende – mindestens gleichwertige – Ersatz für den verletzten Schweinsteiger in der letzten Saison der Knackpunkt war?

Natürlich hätten wir fast das Triple geholt und es lag eben nicht nur an der langen Verletzung Schweinsteigers, aber als er zurück kam, war er doch in den entscheidenden Spielen noch nicht wieder im Vollbesitz seiner körperlichen wie geistigen Kräfte?!

Und was wäre möglich gewesen, wenn wir z.b. nur im Pokalfinale einen Martinez statt eines Gustavo hätten aufbieten können? Gerade gegen eine solche Mannschaft wie den BVB?

Dazu kann man stehen wie man will, es ist zumindest meine Meinung und ich bin davon überzeugt, dass wir an Martinez noch so einige Freude haben werden.

Willkommen in München, Javier Martínez Aginaga!

Schwarzmarkt, Wucher und eine Nagelschere im Dschungel

Es ist ein Anfang gewesen. Immerhin. Und besser so, als ob der Verein gar nichts unternimmt. Andererseits war das Thema Schwarzmarkt beim FCB-Ticketing ja auch noch nie so präsent und quälend wie vor dem #FinaleDahoam in der Münchner Allianz-Arena.

Dank ihrer Hilfe und unserer eigenen Recherchen ist es gelungen, knapp 2/3 aller eBay-Angebote mit Tickets aus unserem Kontingent zu identifizieren. Alle diese Mitglieder sind ab sofort lebenslang für Ticketkäufe gesperrt und werden aus unserem Verein ausgeschlossen.

Offen bleiben Fragen, was mit den Verkäufern von Sponsoren-Tickets geschieht. Ach, so was gab es gar nicht? Klar. Ferner liegt uns allen sicher noch das Thema „viagogo“ im Magen. Aber gut, hier hat der Verein ja ebenfalls „knallhart“ reagiert (nach massiven Protesten) und will den Vertrag – nach Ablauf – nicht mehr verlängern. Hui. Wann endet der Vertrag noch schnell? 2014?

Nein, genug der Polemik. Es bleibt der ersehnte Anfang. Davon haben zwar all die echten Fans nichts, die dieses Drama in vier Akten nicht live im Stadion verfolgen konnten, aber es erhöht die Chance, dass es beim nächsten Mal besser wird.

Immerhin.

Auf ewig miteinander verbunden.

Leute, mein Fan-Teil muss Euch noch ein wenig quälen. Kennt Ihr das? Man erlebt etwas Entscheidendes in seinem Leben und erinnert sich in diesem Zusammenhang immer an ein bestimmtes Lied?

Eben.

Und genau so erging, bzw. ergeht es mir mit diesem Lied.

Dieses Lied wurde im Vorfeld des #FinaleDahoam gespielt. Und es gab mir ein gutes Gefühl, kannte ich es doch schon vorher aus meiner iPhone-Playlist.

Höre ich es heute, habe ich immer noch Gänsehaut. Aufgrund des Gefühls als ich es hörte und aufgrund dessen, wann dann später noch folgen sollte.

Ihrso?

Weisheiten #208

„Denken Sie an die Minuten nach unserem 1:0. Wenn da mal einer richtig draufgegangen wäre und den Ball auf die Tribüne geschossen hätte… Du musst auch mal mit der Axt dazwischen hauen. Das war und bleibt meine Meinung. Allerdings ist das ein allgemeines Problem im Fußball. Es gibt diese Typen kaum mehr.“

Uli Hoeneß, Ball-auf-die-Tribüne-Drescher

Fast ein Held. Fast ein Moment für die Ewigkeit.

Faszinierend. Da musste ich doch glatt mal wieder den IE benutzen, um Youtube vernünftig benutzen zu können. Verrückt.

Wie auch immer. Anbei eins meiner Videos aus München. Das Wichtigste. Zumindestens hätte es das werden können. Wenn wir noch fünf Minuten länger Herrn Drogba in Schach gehalten hätten.

Sei es drum.

Warum das Video so spät startet? Weil der Regisseur nach seinen Tränen zunächst wieder um Fassung und Haltung ringen musste. ‚Hoffe es kommt rüber.

Man beachte auch die Stimme unseres Stadionsprechers. #brüchig #Emotionen

Ultra-Paule mit Explosion oder Kein Barcelona

Es war die 18.Spielminute im #FinaleDahoam. Ich weiß das, weil ich auf die Stadionuhr geschaut habe. Zu diesem Zeitpunkt merkte ich zum ersten Mal, dass dieser Abend schwer werden würde.

Warum? Weil ich nach 20 Jahren mal wieder mitten im Fanblock des FC Bayern stand und bis an die Grenzen meiner Belastbarkeit ging. Wie damals. In all den Gastspielen meines FC Bayern bei denen ich anwesend sein durfte.

Das Problem: Es waren dies eigentlich immer nur irgendwelche Bundesliga- oder Pokal-Spiele. Kaum ein Spiel hatte eine gleiche Erschöpfung zur Folge wie dieses Championsleague-Endspiel im eigenen Stadion.

Wie auch? War ich doch in dieser 18.Spielminute schon ca. zwei Stunden im Stadion auf meinem Platz und hatte ich schon zu diesem Zeitpunkt schon jede Menge Support hinter mir. Aber die Anspannung, die dieses Finale mit sich brachte, gepaart mit der Tatsache, dass ich jetzt tatsächlich auch 20 Jahre älter bin, ließ mir fast die Beine wegsacken.

Ich hielt durch. Bis in die Halbzeit. Und musste mir zu allem Überfluss noch anschauen, wie die Bayern im Prinzip dieses Spiel dominierten und beste Chancen liegen ließen. Beim Halbzeitpfiff hätte ich eigentlich dringend etwas trinken müssen, aber ich konnte nicht mehr tun, als mich auf meinen Sitz fallen lassen und die 15 Minuten Pause zu nutzen, die mir geboten wurden. Dabei war ich gleichzeitig wie berauscht von der Stimmung in unserer Südkurve, von der roten Wand, die wir in diesem einen Spiel endlich einmal waren, der Wand, die wir uns doch alle schon viel länger erträumt hatten in München. Und ich war ein Teil davon. Nicht nur von der beeindruckenden Choreo. Aber selbst da taten mir nach drei Minuten schon die Arme weh. Auch hier: Ich hielt durch.

Wie ich auch nach der Rückkehr der Mannschaften mich wieder von meinem Sitz erhob und selbst nach dem Stimmungsabbruch nach den Bengalows im Nachbarblock 315 wieder in die übergreifenden Anfeuerungen einstimmte. Alternativlos. Wieder Chancen, wieder ergebnislose Eckbälle, wieder Konterversuche der Engländer, die unsere Aushilfs-Defensive klären konnte. Irgendwann musste doch mal dieses Tor fallen.

Dieses Tor zur Glückseligkeit.

Dann die 83.Minute. Vor der Südkurve. Nach einer dieser unzähligen Strafraum-Wuseleien unserer Offensive. Teilweise zu verspielt, teilweise zu lässig, teilweise einfach nur fahrlässig. Und dann kam Müller. Und Esktase, Freude, Schreie – eine Explosion. Wildfremde Menschen lagen sich in den Armen.

Selbst solche – zuvor schon mehr oder weniger deutlich als Südkurven-Touristen erkennbare – Bayern-Fans, die aber jeden Support mehr oder weniger mit machten.

Mitten drin der Paule. Der Paule, der seit vielen Jahrzehnten Fan dieses Vereins ist. Der in dieser Zeit viele Meisterschaften, viele Pokalsiege und fünf Championsleague- oder Landesmeister-Cup-Endspiele gesehen hat und hier nun endlich einmal dabei war. Der Paule weinte. Er weinte wie 2001. Als wir nach 25 Jahren zum ersten Mal wieder diesen Henkelpott in einen Nachthimmel recken konnten. Hemmungslos möchte ich hinzufügen.

Alles erschien perfekt, alles richtig.

Und dann die Dusche. Eine eiskalte zudem. In Gedanken war ich noch dabei, zu überlegen, ob das jetzt tatsächlich die erste Ecke für den Gegner war. In der 88.Minute. Der Ausgleich. Der Stich ins Herz, schnelltrocknende Tränen. Und die Gedanken an „Barcelona“. An die Auswechslung Matthäus‘ und die späten Tore. Die Angst, jetzt ähnliches zu erleben, weil der Gegner plötzlich Oberwasser gewinnt. Die Gedanken, weshalb man nicht entweder all diese Chancen verwertet hat oder einfach nur mal das eigene Tor verriegelt, zunagelt.

„Wie soll ich nur diese Verlängerung überstehen?“ Einfach immer nur weiter, immer weiter. Am Ende haben wir doch unseren Neuer. Gedanken über Gedanken und die Erkenntnis, dass unsere Mannschaft sichtlich geschockt ist und jetzt kurz davor steht, den entscheidenden Treffer zu kassieren.

Als der Elfmeterpfiff ertönt keine Freude. Keine Freude wie beim 1:0. Eher Sorge. Und ungläubige Hoffnung. Dann die Beobachtung der Szenerie, dass wohl kein Effenberg a la 2001 auf dem Platz steht.

Die Körpersprache zwischen Gomez und Robben, die sich den Ball zuschieben lässt mich zweifeln.

Dann der Anlauf und das Hin- und Hergerissen sein zwischen Dortmund, Madrid und Dortmund. Und die Schockstarre. Warum, Arjen, warum?

Der Rest ist Hoffen, Bangen, Erschöpfung, Mobilisierung der letzten Reserven. Eigentlich müsste ich das Stadion verlassen, mich irgendwo hinlegen, ausruhen, erholen, davon rennen. Aber wem würde das helfen?

Das hier ist historisch! Daran wirst Du Dein Leben lang denken.

Elfmeterschießen. Unsere letzte Patrone, unser letztes Ass. Neuer.

Wir spielen vor der Süd. Das ist gut. Chelsea fängt an. Neuer hält, er hält! Unfassbar. Schon wieder.

Gedankenblitze. Kahn. 2001.

Dann die nächsten Elfmeter. Lahm, Chelsea, Gomez. Es läuft. Es läuft gut. Da kann doch jetzt nicht mehr schief gehen, da darf doch jetzt nichts mehr schief gehen!

Dann der nächste Bayern-Schütze. Aber wo bleibt er denn? Will denn keiner? Was soll das denn? Was winkst Du so, Gomez? Wie, Neuer? Neuer?? WTF? Neuer läuft an, mir rutscht endgültig das Herz in die Hose… NEUER! Er trifft!! Wie geil ist das denn? 3:1 für uns. DREIZUEINS. So. Und jetzt Neuer, halt den nächsten. Halt ihn! Neuer!! Ach, Mist. Ok. 3:2. Jetzt kommt Olic. Ok, Ivica. mach es, hau das Ding einfach rein. Er läuft an. Und… …verschießt! Bitte nicht. Lass das nicht wahr sein. Dann halt bitte den nächsten, halt ihn, Neuer! 3:3. Ausgleich. Ok, es geht weiter. Und wer kommt jetzt? Ok, der Schweinsteiger. Alles klar. Das geht klar. Hau ihn rein, Schweini. Wie in Madrid! Hau ihn! Was macht der denn da? Wieso machst Du so Spielchen, schieß! Der Ball geht… er geht… an den Pfosten… …und geht… …nicht ins Tor! Er geht nicht ins Tor! Oh Gott. Bitte lass‘ das nicht wahr sein. Neuer, halt jetzt bitte den letzten! Wer schießt den denn? Was, der Drogba? Oh nein, bitte nicht. Lass‘ das nicht wahr sein. Drogba läuft an, er schießt… UND…

[…]

Das Video, dass das Elfmeterschießen zeigt bricht ab. Überhaupt bricht alles ab. Ich setze mich endlich auf meinen Sitz. Wir alle setzen uns hin. Die ganze Südkurve, alle Blöcke. Während ca. 100 Meter vor uns die Hölle losbricht. Ich weine nicht. Ich kann nicht weinen. Komischerweise kann ich nie weinen in solchen Momenten. Ich bin leer. Der Resetknopf wurde gedrückt. Der Fan-Teil von mir bricht zusammen.

Der Rest hat seine Augen geöffnet, schaut hingegen ins Leere. Ich bleibe sitzen. Bis zum Schluss. Bis zum bitteren Ende. Bis ich den Pokal sehe. Den Pokal, der eigentlich für uns sein sollte.

Ich denke an gar nichts mehr. Ich schaue nur. Ich brauche das jetzt. Es ist Teil eines körperlichen Reflexes. Ich könnte mich jetzt gar nicht bewegen. Der Kopf löst sich vom Geist, vom Körper. Erst eine unbekannte Zeit später sammelt sich alles wieder und ich lasse mich in einer schweigenden Masse aus dem Stadion fort treiben. Auf meinen Weg weg. Weg von diesem Ort, der mir eine ganze Championsleague-Saison der Ort der Freude und Hoffnung war. Mein roter Faden durch diese merkwürdige Saison 2011/12.

Es ist zu Ende. Alles ist zu Ende. Geht es weiter? Ja sicher. Wie immer. Aber vorstellen kann ich mir dies nicht. Der Nicht-Fan-Teil meines Körpers macht was er soll. In die U-Bahn, S-Bahn, ins Auto, ins Hotel, ins W-LAN, nach Twitter. Erst langsam komme ich wieder zu mir. In dieser Nacht, in den Tagen, während ich diese Zeilen schreibe.

Ob es irgendwann heilt? Im nächsten Jahr in London? Im dortigen Championsleague-Finale? Ganz ehrlich? Das ist mir immer noch scheiß egal! Jetzt. Lasst mich einfach noch ein wenig in Ruhe. Mit diesem Fußball.

Ich meld‘ mich dann wieder. [1] [2]

[1] Wer hier einen meiner üblichen Spielberichte erwartet hat, den muss ich leider enttäuschen. Soll ich hier als x. Fan noch mal das durchkauen, was alle schon durchgekaut haben? Sicher darf Robben diesen Elfmeter reinzimmern. Sicher hätte ich – danach – eher gewünscht, dass ein Alaba auf dem Platz gestanden hätte, weil der sich eventuell von dem Druck des #FinaleDahoam freigemacht hätte. Aber wer weiß das schon? Wer weiß schon, wie wir selbst agiert hätten, wenn uns der Trainer gefragt hätte, ob wir im Elfmeterschießen antreten? Wer will behaupten, dass er dieser Situation stand gehalten hätte? Am Ende des Tages sind auch unsere Spieler alles nur Menschen, oder?

[2] Auch wenn viele das so sehen – dieses Spiel war für mich nicht schlimmer als „Barcelona“. Nichts ist schlimmer als „Barcelona“. Weil wir viele Chancen hatten, dieses Spiel doch noch zu entscheiden und die Mutter aller Niederlagen eben imho nicht wiederholbar ist.

Es schöner Tag Geschichte zu schreiben. Schon wieder.

Leute, der Paule ist voller Vorfreude. Nur noch einmal schlafen und die große Reise zum Endspiel aller Endspiele geht los.

Werde auch ich noch meinen Kindern und Enkeln von diesem Spiel erzählen? Ich denke ja – so oder so. Hoffen wir also für uns alle nur das Beste.

Ich bin dann mal weg.

Bild Breitnigge Finale Dahoam